Wo bleibt die deutsche Erinnerungskultur zum Ersten Weltkrieg?

NaturFreunde Deutschlands: „Wie sollen die nationalistisch-rassistischen Gefahren der Gegenwart bewältigt werden, wenn bereits die Vergangenheit verdrängt wird?“

Die Unfähigkeit der Bundesregierung zu einer angemessenen Erinnerungskultur 100 Jahre nach der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts kritisiert der Bundesvorsitzende der NaturFreunde Deutschlands Michael Müller:

Vor 100 Jahren endete die Urkatastrophe des letzten Jahrhunderts, in dem – wie Willy Brandt schrieb – zum zweiten Mal in der Menschheitsgeschichte ein Dreißigjähriger Krieg stattfand. Zwischen 1914 und 1918 tobte ein Krieg, der erstmals mit den brutalen Möglichkeiten der modernen Industrie durchgeführt wurde: Giftgas, Panzer, schwere Haubitzen, Flugzeuge, Bomben. Vor allem kämpften Mann gegen Mann in einem Stellungskrieg. Das schreckliche Gesicht des Krieges zeigte sich nicht nur in den Millionen Toten, sondern auch den traumatisierten Zitterern.

Ohne den deutschen Kaiser Wilhelm II. wäre es nicht möglich gewesen, dass die K.-u.-k.-Monarchie ihre Truppen losschickte, die Europa in Brand setzten. Der überbordende Nationalismus hatte sich damals gepaart mit dem tief sitzenden Gefühl der Nichtanerkennung und ungerechten Zurücksetzung einerseits und einem Verständnis von Überlegenheit und Stärke andererseits. So kam es zum Ersten Weltkrieg, dem nach einer Epoche der Instabilität und Missachtung der Demokratie schließlich der Zweite Weltkrieg mit dem Faschismus und dem Holocaust folgte.

Keine zentrale Gedenkfeier in Deutschland

Während viele der am Krieg beteiligten Länder mit eindrucksvollen Veranstaltungen und Gedenkfeiern dem Beginn sowie dem Ende der vierjährigen Tragödie gedachten, war die politische Erinnerungskultur ausgerechnet in Deutschland dürftig. 2014 gab es zwar eine Sondersitzung des Bundestages und einige kleinere Veranstaltungen des Bundes sowie die Teilnahme der Bundeskanzlerin an einigen wenigen Trauerfeiern im europäischen Ausland. Das war es dann aber schon.

In Deutschland gab es weder 100 Jahre nach Kriegsbeginn noch 100 Jahre nach Kriegsende eine zentrale Gedenkfeier. Die Vorschläge des Sonderbeauftragten des Auswärtigen Amtes, der eine Aufarbeitung der Versailler Verträge angeregt hatte, wurden gar nicht erst diskutiert. Die Einladung der Bundeskanzlerin zur Gedenkfeier im belgischen Dinant, wo 1914 das erste Massaker an der Zivilbevölkerung stattfand, wurde von einem unteren Legationsrat ablehnend beantwortet. Die Bundesregierung zeigte sich unfähig für eine Erinnerungskultur, die der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts angemessen gedenkt. Dieses Wegtauchen ist ein alarmierendes  Zeichen für die Geschichtslosigkeit der heutigen Politik. Und das in einer Zeit, in der ein neuer Nationalismus die europäische Bühne betreten hat. Die NaturFreunde schämen sich für dieses dunkle Loch in der deutschen Politik.

Kleingeisterei zum Volkstrauertag

Als am Volkstrauertag Schülerinnen und Schüler in Berlin 170 künstlerisch gestaltete Kreuze in Erinnerung an die 17 Millionen Toten des Ersten Weltkrieges ausstellen wollten, wurde ihnen das am Reichstag versagt. Auch an der Neuen Wache wurden sie weggeschickt, um die Vertreter des Staates bei der offiziellen Kranzniederlegung nicht zu „stören“. Was für eine Kleingeisterei. Diese Kreuze waren bereits an zehn zentralen Orten des Ersten Weltkrieges wie Sedan und Verdun ausgestellt worden. Die Schülerinnen und Schüler hatten vor Ort auch die Partnerschaft mit dortigen Schulen gesucht.

Die NaturFreunde Deutschlands fragen: Wie sollen die nationalistisch-rassistischen Gefahren der Gegenwart bewältigt werden, wenn bereits die Vergangenheit verdrängt wird?
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